PM² und Project Management – Interview mit Reinhard Wagner

Datum: 30/01/2023| Kategorie: Tipps und Interviews| Tags:

Wir haben Reinhard Wagner interviewt, der seit über 35 Jahren auf dem Gebiet der projektbezogenen Führung im privaten, öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Sektor tätig ist. In diesem Interview erzählt er uns von der Bedeutung von pm2 für viele der von ihm betreuten Projekte.

Welche Rolle spielen Sie in Ihrem Beruf?

Ich bin Geschäftsführer eines mittelgroßen Beratungsunternehmens (Tiba), das vor allem Industrieunternehmen in Deutschland berät, wie sie die Transformation von traditionellen Arbeitsweisen in die Welt des ‚New Work‘ bewältigen können. Dabei geht es um die zunehmende Anzahl und Bedeutung von Projekten, klassische, agile und hybride Ansätze, die Neuausrichtung der Prozesse und die Veränderungsbereitschaft auf allen Ebenen der Organisation.

Welches sind die größten Herausforderungen, mit denen Sie in Ihrem Alltag zu tun haben?

Einerseits geht es heute darum, dass konventionellen Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren und gründlich erneuert werden müssen. Andererseits muss das bestehende Geschäft schneller, anpassungsfähiger, mit weniger Ressourcen und mit mehr Fokus auf die Wertschöpfung durchgeführt werden.
Viele Unternehmen sind zunehmend mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihr Geschäft zusätzlich zum Tagesgeschäft radikal umzugestalten. Hinzu kommen zahlreiche äußere Einflüsse wie Energiepreisspitzen, Unterbrechungen der Lieferketten und ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Gerade hier ist es wichtig, Kompetenzen im Projekt-, Prozess- und Veränderungsmanagement zur Verfügung zu haben, um die vielfältigen Herausforderungen zu meistern.

Können Sie uns einige Beispiele für Projekte nennen, an denen Sie beteiligt waren?

Wir sind in sehr unterschiedlichen Verantwortungsbereichen unterwegs. Zum einen unterstützen wir die Automobilhersteller und ihre Zulieferer bei der Transformation der Branche in Richtung Elektromobilität und der Integration von Soft- und Hardware im Fahrzeug. Zum anderen sind wir in komplexen Projekten und Programmen im Rahmen der Energiewende in Deutschland tätig, wo es zum Beispiel große Projekte gibt, um erneuerbare Energien aus Skandinavien oder der Nordsee mit Übertragungsleitungen nach Süddeutschland zu bringen, sowie Projekte zum Rückbau von Kernkraftwerken und zur (Zwischen-)Lagerung von Kernmaterial.
Es gibt aber auch viele andere Tiba-Projekte, z.B. im Bereich von Konsumgütern wie Elektrofahrrädern, die sich einer hohen Nachfrage erfreuen und unter schwierigen Marktbedingungen entwickelt und produziert werden müssen, um an ein anspruchsvolles Publikum verkauft zu werden. Wir selbst haben inzwischen viele unserer Prozesse im Unternehmen automatisiert, mit dem Einsatz von Citizen Developers und Tools wie PowerBI und PowerAutomate, wo komplexe Berichte und Cockpits vollautomatisch mit den gewünschten Informationen zu einem Zeitpunkt und in einem Format unserer Wahl versorgt werden. Es ist erstaunlich, was die Digitalisierung, umgesetzt durch Projekte, möglich gemacht hat.

Es gibt eine Vielzahl von Projektmanagement-Methoden. Warum haben Sie sich für PM2 als Projektmanagement-Methode entschieden?

In Deutschland ist PM2 noch wenig bekannt und in seiner Anwendung weit verbreitet. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern haben wir hierzulande seit den 1960er Jahren eine gute Reihe von DIN-Normen zum Projektmanagement, die auch die ISO-Reihe zum Projektmanagement beeinflusst haben. Gleichzeitig orientieren wir uns in Deutschland in Bezug auf die Kompetenzen für das Projektmanagement hauptsächlich an der IPMA.
Die Professionalisierung des Projektmanagements ist vor allem durch die Übernahme von Projektmanagement-Standards und die Qualifizierung bzw. Zertifizierung von Projektmitarbeitern auf Basis der ICB 4.0 der IPMA erfolgt. Letztes Jahr erhielt der 100.000ste Projektmanager sein IPMA-Zertifikat. Wenn ich so spreche, dann meine ich in erster Linie die Geschäftswelt. In der öffentlichen Verwaltung hat eine Professionalisierung des Projektmanagements erst in den letzten Jahren begonnen. Gerade hier wächst das Interesse an PM2, zumal es die Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen zu erleichtern verspricht und – wenn ein Standard für Projektmanagement eingeführt werden soll – PM2 die naheliegende Wahl ist.

Was sind für Sie die Vor- und Nachteile der PM2-Methodik?

Unsere Philosophie bei Tiba ist, dass die PM-Methodik zu der Organisation passen muss, die sie in Projekten einsetzen will. PM2 ist in dieser Hinsicht offensichtlich die richtige Methode, da sie für den öffentlichen Sektor konzipiert ist und sowohl dem Charakter der Projekte als auch den Besonderheiten der Betriebsbedingungen entspricht. Neben der Methodik für Projekte gibt es einen agilen Ansatz sowie Ansätze für das Programm- und Portfoliomanagement, die kohärent sind und daher leicht integriert werden können.
Ein Nachteil ist vielleicht, dass PM2 primär die „harte Seite“ des Projektmanagements anspricht und weniger die „weiche Seite“. Unserer Meinung nach lässt sich hier eine sinnvolle Kombination mit den „persönlichen und sozialen“ Kompetenzen der IPMA herstellen, so wie wir es auch in der Wirtschaft machen. Denn wie bei jeder Methodik reicht es nicht aus, sie einzuführen und zu erwarten, dass alle sie sofort akzeptieren und anwenden.
Die Methodik muss schrittweise eingeführt werden, alle Betroffenen müssen darin geschult werden, und das Management muss nicht nur an die konsequente Anwendung appellieren, sondern sie auch in der Praxis überwachen und bei Bedarf ändern. Aus diesem Grund ist auch eine verstärkte Anleitung der Anwender notwendig, um die Akzeptanz von PM2 noch weiter zu erhöhen.

Welchen Teil der PM2-Projektmanagement-Methodik wenden Sie bei Ihren Projekten an?

Das fängt beim Phasenmodell an, setzt sich bei den zugehörigen Artefakten fort und reicht bis zu den Rollen und Verantwortlichkeiten. Bei letzterem sehen wir immer den größten Anpassungsbedarf. Nicht so sehr, was die Rollen selbst betrifft, sondern die jeweilige Ausgestaltung der Rollen und das Zusammenspiel im spezifischen Kontext. Denn der organisatorische „Werdegang“, strukturelle und kulturelle Besonderheiten spielen eine große Rolle. Gerade im öffentlichen Sektor, der typischerweise auf Routine und Stabilität ausgerichtet ist, müssen projektorientierte Modelle mit Vorsicht eingesetzt werden, um keine Konflikte oder Ablehnung zu provozieren. Auch die Einführung der Erweiterungen zum Programm- und Portfoliomanagement kann erst erfolgen, wenn grundlegende Strukturen des Projektmanagements etabliert sind.

Haben Sie einen Rat für Fachleute in diesem Sektor?

Die Einführung bzw. Weiterentwicklung einer PM-Methodik erfolgt in unserem Unternehmen auf Basis des Tiba-4-Achsen-Modells. Dieses bildet das ganzheitliche Management von Projekten über die Achsen „People & Mindset“, „Processes & Methods“, „Technology & Tools“ und „Organization & Culture“ ab. Wenn nur auf die Einführung von Prozessen und Methoden für Projekte Wert gelegt wird, die anderen drei Achsen aber vernachlässigt werden, dann wird die Einführung letztlich scheitern. Der Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn das Projektmanagement auf allen vier Achsen gleichzeitig vorangetrieben wird, d.h. wenn die Projektmanagementprozesse und -methoden mit den eingesetzten Technologien und Tools in Einklang gebracht werden und wenn auch die Organisation und Kultur darauf abgestimmt werden. Letztlich fehlt noch der wichtigste Faktor: der Mensch. Nur wenn die Menschen in die Einführung einbezogen werden und gemeinsam ein passendes (kollektives) Mindset für die Projektarbeit entwickeln, wird die Anwendung der anderen Faktoren ein Erfolg. Hier ist es wichtig, die richtige Kombination und Vorgehensweise zu finden.

Was denken Sie über die Zukunft des Projektmanagements?

Projekte werden alle Lebensbereiche in unserer Gesellschaft durchdringen, und jeder von uns wird in der einen oder anderen Form immer und überall Projekte durchführen. In der Wissenschaft nennen wir das „Projektifizierung“. Projektmanagement wird nicht mehr nach dem Motto „one size fits all“ funktionieren, sondern wird an die projektspezifische Situation und Gegebenheiten angepasst. Aus diesem Grund hat die IPMA vor einigen Jahren die Kompetenz „Projektdesign“ eingeführt, d.h. die Gestaltung des Projektmanagements durch den Projektmanager auf der Grundlage der spezifischen Bedingungen. In Zukunft brauchen wir auch einen Projektmanagement-Ansatz, der insbesondere für Bürgerinnen und Bürger intuitiv erfassbar und anwendbar ist, also so etwas wie „Bürgerprojektmanagement“ für das „Projekt Bürger“. Obwohl es in der öffentlichen Verwaltung und in der Wirtschaft immer komplexere Projekte gibt, die ein ausgeklügeltes Projektmanagement erfordern, sind viele Projekte im öffentlichen oder zivilgesellschaftlichen Bereich klein und überschaubar. Hier sind einfache Verfahren im Sinne einer „Projektorganisation“ gefragt. Dabei wird uns Software auch in Zukunft unterstützen.
Sei es durch Data Analytics, Robot Process Automation oder PowerAutomate können große Datenmengen analysiert und daraus Schlüsse für die Planung oder Steuerung von Projekten gezogen werden. Künstliche Intelligenz (KI) sowie Anwendungen wie ChatGPT zeigen erste Möglichkeiten auf, wie Projektmanager und insbesondere PMOs bei einfacheren Aufgaben unterstützt werden können, um sich mehr auf die wirklich wichtigen Themen der Organisation und Zusammenarbeit konzentrieren zu können.

PM2 in der Praxis: Lesen Sie unser Interview über das erste papierlose Projekt der EU mit pm2.

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Reinhard Wagner

Reinhard Wagner

Reinhard Wagner ist seit mehr als 35 Jahren im Bereich der projektbezogenen Führung im privaten, öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Sektor tätig. Als Geschäftsführer der Tiba Group Services GmbH, einer führenden PM-Beratung in München, unterstützt er Führungskräfte von Kunden bei der Transformation ihrer Unternehmen hin zu einer projektorientierten, lernfähigen und nachhaltig erfolgreichen Organisation. Er hat 40 Bücher sowie mehrere hundert Artikel und Blogposts im Bereich Projektmanagement veröffentlicht. In mehr als 25 Jahren ehrenamtlichen Engagements hat er der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) sowie der International Project Management Association (IPMA) in verschiedenen Führungspositionen (u.a. als Präsident und Vorsitzender) gedient und wurde für sein internationales Engagement mit dem Honorary Fellowship der IPMA und mehrerer ihrer Mitgliedsverbände ausgezeichnet. Reinhard ist Assistenzprofessor an der Europäischen Universität Alma Mater Europaea und lehrt Projektmanagement im Rahmen des Doktorandenstudiengangs Projektmanagement.

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